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Dieses Thema hat 26 Antworten
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 Fliegen
Seiten 1 | 2
Hans-Otto Offline

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05.12.2007 08:15
Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten
Meine Freunde.

Uli Wiesmeier, ein Bayer aus Murnau hat mit dem Gleitschirm einen sog. "Biwakflug" gemacht, und zwar vom Lac d'Annecy in Frankreich nach Garmisch-Partenkirchen.
Das heisst, als Fortbewegungsmittel dienten nur der Gleitschirm und die eigenen Füsse.

Gesamtstrecke 573 km, davon 313 in der Luft.

Da ich gern zu Fuss in den Bergen bin, aber auch als Flieger, werde ich Euch seinen Bericht hier als Fortsetzungsstory hereinbringen.

LG, Hans-Otto

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Hans-Otto Offline

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05.12.2007 09:54
#2 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Die erste Folge - mehr ein Vorwort:

Eine lächerliche Computerstimme von der Telekom
fordert mich durch meinen Telefonhörer hartnäckig
auf, laut und deutlich irgendwelche Fragen
zu beantworten. Von draußen dröhnt der Motorrasenmäher
vom Nachbarn herüber, der eine
halbstündige Regenpause dafür nutzt, seinem ohnehin
nur drei Zentimeter langen Golfrasen auf den Pelz zu
rücken. Im Radio Dauerfeuer durch Werbespots, als
öffentlich-rechtlicher Beitrag zur Volksverblödung. Der
Alltag, oder besser gesagt, der ganz normale Wahnsinn
hat mich längst wieder eingeholt, obwohl ich ihm doch
für knapp drei Wochen entwischen konnte.
Erst gestern Abend habe ich bei strömendem Regen
müde, glücklich und zufrieden den Schlüssel in das
Schloss meiner Haustür gesteckt. Zurück von meiner
kleinen Flucht in eine andere Welt. Ich meine nicht diese
Art von Ausflügen in fremde Länder, die man im Reisebüro
bucht und nicht selten in einer vollklimatisierten
Kabine einer Boeing beginnt. Nein, ich meine eine Welt,
die eigentlich schon hinter dem eigenen Gartenzaun anfängt.
Sie zu entdecken ist sehr einfach und sehr günstig.
Alles was man dazu braucht, sind gute Schuhe an
den Füßen und die paar Sachen im Rucksack, die den
Menschen letztendlich glücklich machen. Etwas zu trinken
und zu essen, eine Jacke gegen den Regen und einen
Schlafsack gegen die Kälte. Inwieweit man gewohnten
Luxus wie z. B. Rucksackapotheke, Stirnlampe oder Telefon
als unverzichtbar empfindet, bleibt jedem selbst
überlassen. Schleppen muss man es ja auch alleine.
Fehlt nur noch ein Ziel und die nötige Zeit, dieses Ziel
aus eigener Kraft zu erreichen. Für einen Fußgänger bedeutet
das gehen, wandern, pilgern – wie auch immer
man es nennen mag. Es geht in erster Linie darum, mit jedem
Schritt Neuland zu entdecken, ohne zu wissen, was
der Tag bringt und wie das nächste Nachtquartier aussehen
wird. Ist man auch noch in der glücklichen Lage, sich hin
und wieder Flügel wachsen zu lassen, weil man gelernt hat,
mithilfe eines Gleitschirms thermische Aufwinde zu nutzen,
dann hat man zwar etwas mehr zu schleppen, muss aber in
der Regel auch etwas weniger gehen. Die Rede ist vom so
genannten Biwakfliegen, dem dreidimensionalen Fernwandern.
„Wie im Himmel so auf Erden.“
Für mich mit Abstand die spannendste und intensivste
Form einer Reise. Wer hat’s erfunden? Nein, ausnahmsweise
nicht die Schweizer. Ein Franzose namens Didier Favre
war Vater des Gedankens. Didier war Drachenflieger, bevor
er, leider viel zu früh, 1994 nach einem Absturz mit einem
Prototyp von uns ging. „Vol Bivouac“ war seine Passion.
Sein Meisterstück, ein Trip von Monaco nach Slowenien,
entlang des gesamten Alpenbogens. Die Spielregeln: Gehen
und fliegen ohne Zuhilfenahme fremder Fortbewegungsmittel.
Wohlgemerkt damals noch mit einem Drachen. Konnte
Didier einmal nicht am Berg landen, sondern musste er sich,
aus welchem Grund auch immer, für eine Landung im Talgrund
entscheiden, hieß das Schwerstarbeit. Dann mussten
nämlich die sperrigen 40 Kilogramm rauf auf die Schultern.

©uli wiesmeier


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Hans-Otto Offline

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07.12.2007 00:08
#3 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Die 2.

21. Juli 2007 – Die 15-Kilogramm-Rucksäcke, die
wir in die Gepäcknetze des Schnellzugs München
– Zürich wuchten, sind Peanuts dagegen. Wir, das sind
Achim Joos und ich. Ein Duo, das unterschiedlicher nicht
sein könnte. Mit leichtem Hang zur Übertreibung könnte
man behaupten, Achim ist zweimal so groß, dafür nur halb
so alt wie ich. Natürlich haben wir auch etwas gemeinsam,
sonst hätten wir nicht zusammen diese Zugfahrt nach Annecy,
Frankreich, angetreten.
Damit ist nicht nur der Staubfänger in Form einer Paragliding-
Worldcup-Kristallkugel gemeint, die wir beide zu Hause
stehen haben. Nein, uns verbindet die Liebe zum Gebirge und
die Tatsache, dass wir immer noch fürs Leben gerne Gleitschirm
fliegen. Seit Jahren träumen wir von einem großen
Biwakflug. Diesen Sommer passt es endlich. Auch Achim hat
inzwischen seine Speedarms an den Nagel gehängt und sich
offiziell von der Wettkampfbühne verabschiedet. Und ich?
Ich brauche als Fotograf mal dringend eine schöpferische
Pause. Genau drei Wochen haben wir Zeit, um unseren lang
gehegten Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Von A nach
B. Nur wo ist A und B? Zugegeben, die Versuchung, es Didier
gleichzutun und die gesamten Alpen zu durchqueren,
war sehr groß. Der ultimative Biwakflug. Allerdings würden
drei Wochen mit Sicherheit nicht dafür reichen. Also her
mit der großen Landkarte. Die Suchkriterien: schöne Landschaften,
viel Fliegen und möglichst wenig Gegenwind. Nach
einer langen Nacht war dann unsere individuelle Ideallinie
geboren. Ein Startplatz so weit wie möglich im Westen der
Alpen war mit Annecy schnell gefunden, um dann, getragen
von Wetter und Wind, die Heimreise anzutreten. Dabei haben
wir das Wort Heimreise wörtlich genommen und unsere
eigenen Haustüren als Zielpunkte gewählt. Und da der eine
in Berchtesgaden am Watzmann und der andere in Murnau
am Staffelsee lebt, gab es gleich zwei Optionen. Läuft es gut
mit dem Wetter, starten wir durch bis Berchtesgaden, lässt
sich die Thermik aber betteln, nehmen wir Kurs auf Murnau.
Diese Idee kann ich jedem, der mit dem Gedanken spielt, es
uns nachzumachen, nur empfehlen, vorausgesetzt der Wohnsitz
lässt diese Variante zu. Sich langsam, Schritt für Schritt,
Meter für Meter, egal ob 100 oder 1000 Kilometer weit,
den eigenen vier Wänden zu nähern und somit den Kreis zu
schließen, empfinde ich als besonders reizvoll an der ganzen
Sache. Keine Reise nach der Reise, sondern nur Schlüssel ins
Schloss, Wasser in die Wanne und ab ins eigene Bett. Ankommen,
im wahrsten Sinne des Wortes.
Doch vorerst entfernen wir uns gerade in rasender Geschwindigkeit
von unserem Ziel. Schon über zehn Stunden
brettern wir im ICE durch die Nacht und nach einem langen
nachdenklichen Blick aus dem Zugfenster stellt Achim fest:
„He Alter, langsam wird’s ganz schön weit …“ 19 Stunden
waren wir insgesamt bis zu unserem Startplatz am Col de
Forclaz unterwegs und ehrlich gesagt muss man sich an die
Vorstellung, diese ganze Strecke über die Berge wieder zurückzugehen
oder zu -fliegen, erst langsam gewöhnen. Die
Betonung liegt auf langsam, ein Begriff, der auch von uns
erst wieder neu entdeckt werden muss. Vollgas auf deutschen
Autobahnen, Datentransfer durch Highspeed-Leitungen oder
Fastfood vom Pizzaflitza. So sieht das Alltagstrauma aus, unter
dem die meisten von uns leiden. Gehen oder besser gesagt
weit gehen ist wahrscheinlich die beste Medizin dafür. Die
langsamste aller Fortbewegungsarten als Heilmittel, um wieder
zu sich selbst zu finden.

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No problem Offline

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07.12.2007 09:05
#4 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Spannend liest sich dieser Bericht, bin schon neugierig, wie es weiter geht. Merci Dir

NIna
Freundschaft ist Liebe ohne Flügel.
{französisches Sprichwort}

Hans-Otto Offline

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07.12.2007 13:52
#5 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Danke liebe Nina

Und hier die 3. (etwas kürzer)

22. Juli 2007 – Die überaus gastfreundliche Madame,
die uns von der letzten Bushaltestelle im Tal hinauf
zum Col mitfahren lässt, gibt alles, was der erste Gang
ihres Kleinstwagens zu leisten vermag. Da stehen wir nun.
An der Startlinie zu unserem Abenteuer. Völlig übernächtigt
und nervös wie vor einem Worldcup-Finale.
Fliegen werden wir heute sicher noch. So wie es bereits
eine ganze Menge Wochenendpiloten hier in einem der bekanntesten
Fluggebiete Frankreichs tun. Nur, wir wollen
nicht hinunter zum Landeplatz am Lac d’Annecy. Im Gegenteil,
wir wollen nach Osten, doch da steht ein großer Felsriegel
namens La Tournette im Weg und der steckt immer noch
in dicken Wolken. Erst eine ganze Weile später gelingt uns
die Flucht durch eine kleine Wolkenlücke ins nächste Tal.
Besonders lange sollte unsere erste Luftetappe nicht dauern.
Zu niedrig die Wolkenbasis, zu stark der Südwestwind. Immerhin
bis zum Col de Aravis hat es gereicht und wir sitzen
mehr als zufrieden im Gras unter französischer Sonne. Da
uns aus der Unterwelt der Meteorologie zugeflüstert wurde,
es gäbe morgen noch mal die Chance, ein gutes Stück weit
zu fliegen, genehmigen wir uns zum Dessert noch mehr als
900 Höhenmeter Abendsport hinauf zum L’Etale und einen
Fünf-Sterne-Biwakplatz mit Blick auf den glühenden Montblanc
als Nachschlag. Aber wir sind zu müde zum Schauen.
Sekundenbruchteile, nachdem der Schlafsackreißverschluss
zu ist, fallen wir in ein tiefes Koma.


LG, Hans-Otto

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Trollkind ( gelöscht )
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07.12.2007 16:35
#6 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

ich verfolge es mit grosser spannung.

wer freunde ohne fehler sucht...
bleibt ohne freunde

Fundkatze Offline

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Beiträge: 5.141
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07.12.2007 17:32
#7 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Danke Hans, das ist ein spannender Bericht, die beiden Leisten was!


LG
Fundkatze

No problem Offline

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07.12.2007 20:42
#8 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Mir rinnt die Gänsehaut vor Spannung, herjemine, einfach toll!

NIna
Freundschaft ist Liebe ohne Flügel.
{französisches Sprichwort}

Hans-Otto Offline

Administrator


Beiträge: 7.459
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08.12.2007 17:19
#9 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Die 4. und 5.:

23. Juli 2007 – Die Meteorolügen haben sich doch ein
wenig verschätzt. So um die 70 km/h. Der auflebende
Südweststurm bläst uns fast vom Grat. Wir schätzen die
Spitzen auf über 100 Stundenkilometer. Der Klimawandel
sollte in den kommenden Tagen noch mehr solcher Lektionen
für uns parat halten. Also schnell wieder runter vom
Berg und gehen. Zurück zum Col de Aravis und in der vom
Wintertourismus heftig gebeutelten Landschaft hinüber zum
Col de Jaillet. Die Kaltfront ist da. Es regnet. In einem verlassenen
Ziegenstall lernen wir, dass trockener Geißenmist
ausgezeichnet isoliert und vor Bodenkälte schützt. Hat man
sich erst an den neuen Geruch gewöhnt, will man so eine
Herberge mit keinem Hotel dieser Erde mehr tauschen.

24. Juli 2007 – Es schüttet aus Kübeln, dafür können
wir ausschlafen. Als es gegen Mittag langsam heller
wird, checken wir aus und gehen die letzten Meter zur
Passhöhe. Wir glauben fest daran, irgendwie von dort wenigstens
ins Tal von Mégève abgleiten zu können. Das alte
Spiel „Hinter der nächsten Baumreihe kann man ganz bestimmt
starten“ spielen wir dann solange, bis wir letztendlich
unten im Tal stehen, ohne unsere Schirme ein einziges
Mal ausgepackt zu haben. Bei der Hautevolee von Mégève
gefällt es uns gar nicht, darum füllen wir nur schnell unsere
Rucksäcke mit Köstlichkeiten der Haute Savoie, was
zwar gut für den Gaumen, allerdings weniger angenehm für
die Schultern ist, und starten durch zum nächsten Berg mit
Startplatzpotenzial: Mont d’Arbois. Für den kommenden
Tag wurde uns schon wieder gutes Flugwetter prophezeit
und da Fliegen ja bekanntlich am besten von oben funktioniert,
summieren sich die Höhenmeter mittlerweile schon
recht beachtlich. Das Training zu Hause hat sich also gelohnt.
An unserem Biwakplatz läuft derselbe Film wie gestern
am L’Etale: „Alpenglühen am Montblanc“ und wir
haben schon wieder einen Logenplatz.





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Brockenhexe ( gelöscht )
Beiträge:

08.12.2007 20:51
#10 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Wie interessant und spannend an so einem Abenteuer wenigstens in der Phantasie teilhaben zu können.
Danke Hans, warte gespannt auf die Fortsetzung.

Liebe Grüße
Brockenhexe (-:

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Beiträge: 11.364
Punkte: 12.314

09.12.2007 23:36
#11 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Oohhh, ist das schööön. Merci vielmals, dass wir daran teilhaben können

NIna
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Hans-Otto Offline

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Beiträge: 7.459
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10.12.2007 08:17
#12 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Die 6. und 7.

25. Juli 2007 – Dieser Tag sollte uns abermals und
diesmal schonungslos an die Grundregel des Biwakfliegens
erinnern, die da lautet: „Nimm das Wetter
wie es kommt“. Am Morgen sahen wir uns bereits voller
Optimismus in luftigen Höhen an den Gletscherriesen des
Montblanc-Massivs entlangsegeln, um am Abend irgendwo
im Wallis zu landen. Doch der Himmel erzählt uns bald
eine ganz andere Geschichte. Winzig kleine Wolkenfransen
über den umliegenden Bergspitzen bestätigen eine minimale
Arbeitshöhe und der Dunst, der uns umgibt, zeugt von
extrem stabiler Luft.
Ich mach’s kurz. Nach einem halbstündigen Kampf um
jeden Pieps der Varios stehen wir unten im Tal bei Chedde.
Zehn Kilometer. Das tut weh und es dauert ganze 900 Höhenmeter
bei brütender Hitze, bis all die Bilder vom Traumflug
in unseren Köpfen wieder gelöscht sind.

26. Juli 2007 – Eine warme, sternenklare Nacht in
einer Blumenwiese über Plaine Jeux lässt uns unseren
Fliegerfrust bald vergessen. Nur die feuchten Schlafsackhüllen
und die vielen flugunfähigen Schmetterlinge in
der taunassen Wiese lassen am frühen Morgen bereits erahnen,
was dieser Tag noch bringen wird. Sollte er womöglich
noch stabiler werden als der gestrige? Gibt es da überhaupt
noch eine Steigerung?
Nach einem Bilderbuchfrühstück auf der Terrasse einer
kleinen Bar beziehen wir dann in der Rolle zweier getarnter
Thermikspione am Startplatz Stellung. Unauffällig, aber
trotzdem jederzeit startbereit. Sollte nur einer der unzähligen
Schirmflieger den Hauch einer Thermikquelle markieren,
schlagen wir zu.
Fünf Stunden waren es sicher, die wir einfach nur dagesessen
sind, um das bunte Treiben zu beobachten. Alles
ist vertreten. Geschäftstüchtige Tandem-Gondolieri, hoch
motivierte L-Schein-Schüler, ultracoole Local Heroes oder
selbst ernannte Acro-Champions. Nicht zu vergessen die
beiden etwas griesgrämig dreinschauenden Biwakflieger, die
ihre Schirme nicht einmal auspacken. Obwohl der Planet
erbarmungslos vom Himmel brennt, kommen alle Parapentistes,
die heute hier in die Luft gehen, zusammen auf eine
Gesamtstartplatzüberhöhung von höchstens fünf Metern.
Um 17.00 Uhr machen wir dem Elend ein Ende, schultern
unsere Rucksäcke und ziehen als bekennende Bergwanderer
von dannen.
Bald sind wir wieder allein, umgeben von traumhafter
Landschaft, und es funktioniert. Die Formel „Nimm das
Wetter, wie es kommt“, die wir beim Gehen gebetsmühlenartig
vor uns hin murmeln, lässt uns das Fliegen tatsächlich
erst mal vergessen.

Kleines Lexikon:

Vario - ein Gerät, das anzeigt ob man steigt oder sinkt.
L-Schein-Schüler = Flugschüler mit weniger als 20 Starts
local Heroes = einheimische "Stars"
selbst ernannte Acro-Champions = Flieger, die meinen, sie könnten Kunstflug
stabile Luft = Luft mit wenig Bewegung und wenig oder keiner Thermik


bei Chedde

LG, Hans-Otto

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10.12.2007 23:10
#13 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Das muss einem Traum gleich sein, diese Leichtigkeit in der Luft spüren zu dürfen, einem Schmetterling näher sein, als es sich je träumen ließe...schwelg
Bitte weitererzählen

NIna
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Hans-Otto Offline

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11.12.2007 07:38
#14 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

8. und 9. Fortsetzung

27. Juli 2007 – Das Vollmond-Biwak unterhalb vom
Col de Salenton wird zum Höhepunkt unserer bisherigen
Tour. Eine Traumkulisse und weit und breit kein
Mensch. Kleine Seen, große Berge und mittendrin dieser
wilde Weg, der uns hinauf bis zur Schneegrenze bringt. Zugegeben,
am Pass, ein kleiner Rückfall. Trotz Nebel und
Sturmböen unruhige Gedanken, ob vielleicht doch ein Flug
möglich wäre. Ein absurder Anfall, aber die Beschwerden
klingen bald wieder ab. Zufrieden wandern wir bei
Föhnsturm hinunter zur Landesgrenze und wieder hinauf
ins schweizerische Trient, wo wir bei Madame Cappi ein
kleines, schönes Zimmer mit Dusche bekommen und im
Wohnzimmer das Abendessen serviert wird.

28. Juli 2007 – Die allmorgendlichen Wetterrecherchen
über unser Mobiltelefon bringen unseren meditativen
Pilgerrhythmus allerdings schon wieder kurz aus
dem Gleichgewicht. Die Meinungen aller befragten Wetterfrösche
gehen zwar ziemlich auseinander, was die Windgeschwindigkeit
betrifft, sind sie sich jedoch einig: circa
30 km/h in 3000 Meter Höhe. Ein schnelles Frühstück im
Stehen, der Weg hinauf zum Pointe Ronde ist noch weit
und wir wollen auf keinen Fall zu spät kommen, sollte es
auch nur die kleinste Chance geben, das Wallis im Flug zu
erobern. Doch kaum sind wir oben, bläst uns die meteorologische
Realität schon wieder gnadenlos ins Gesicht.
Diesmal mit geschätzten 60 km/h. Es wäre auch zu schön
gewesen …
Mittlerweile sind wir schon sehr viel entspannter, nehmen
es mit Fassung und genießen einfach nur die einsame
Bergwelt. Beim Abstieg, an der Pass-Straße, dann der große
Umschwung: Der Bergwald rauscht nicht mehr, und plötzlich
reicht der Talwind aus dem Wallis bis zu uns herauf.
Wir überlegen nicht lange, steigen noch einmal bis zur ersten
brauchbaren Wiese auf und erleben bald eine dieser
Überraschungen, die ein Fliegerleben so aufregend machen
können. Die Luft labilisiert, der überregionale Wind lässt
nach, und die nordwestlichen Bergflanken in Richtung Osten,
die jetzt perfekt im Wind stehen, schenken uns einen
abendlichen Genussflug bis nach Verbier.


(in der Gegend um Pointe Ronde. Der flache Gletscher ca. Bildmitte ist der "Glacier du Trient" und darüber die "Aiguilles dorées", die goldenen Nadeln)

LG, Hans-Otto

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Brockenhexe ( gelöscht )
Beiträge:

11.12.2007 11:22
#15 RE: Eine dreidimensionale Pilgerreise Zitat · Antworten

Die Luft labilisiert....
Was heißt das?

Liebe Grüße
Brockenhexe (-:

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